1970-1978

Fensterbilder

Gedanken nach einem Gespräch mit Sigi Zahn

Renate Puvogel 1979

Pfeifenraucher sind vielfach Genießer. Sigi Zahn raucht während des Gesprächs aromatischen Pfeifentabak. Sigi Zahn ist ein Genießer. Er bekennt, sein Leben wohl arrangiert zu haben, er fühlt sich in Einklang mit der Gegenwart, steht seinen europäischen Zeitgenossen positiv gegenüber. Er hat Grund zu diesem Optimismus, denn, wie die Liste seiner Studienstipendien belegt, scheint das Glück ihm stets gewogen zu sein. Sigi Zahn braucht ein gepflegtes Zuhause, ein ästhetisches Ambiente und eine gewisse Ordnung sind ihm Voraussetzung für Leben und Arbeit. Wir besichtigen seine Bilder in einem eleganten Lampenstudio. Man könnte aus diesem ersten Eindruck schließen, Sigi Zahn sei Designer oder Grafiker. Doch dieser Schluss ist falsch: Sigi Zahn hat kaum multiplizierte Grafik hergestellt; er ist ausschließlich Maler. Er malt riesige Tafelbilder und er lebt von seiner Kunst. Er zählt nicht zu den wortkargen Malern, die sich nur mit dem Pinsel verständlich machen können, vielmehr kann er sich auffallend gut artikulieren. Sigi Zahn ist ein realistischer Maler. Das Spektrum des zeitgenössischen Realismus reicht von den Fotorealisten bis zu jenen, die mit Colville bekennen: „Als guter Realist muss ich alles erfinden“. Sigi Zahn beklagt nachdrücklich , dass die Diskussion über den Nachkriegsrealismus – von einigen guten Ausstellungen abgesehen – nie ausgetragen sei. Den Fotorealismus lehnt er als künstlerische Sackgasse für sich ab, weil ihm das perfekte Nachmalen eines bereits existierenden Fotos nicht genügt. Eine inhaltliche Aussage, eine Idee muss in der künstlerischen Form sichtbar werden. Welches ist seine Botschaft? Trägt sie ausreichend, um in immer neuen Variationen vermittelt zu werden?

Sigi Zahn gab seiner Ausstellung den Titel „Urbane Symbole“ – Symbol als stellvertretendes Zeichen für ein gemeintes Ganzes. Er malt Autos, Waggons, Eisenbahnen, Fenster, Ölbehälter und Gläser, jeweils nur im Ausschnitt. Das zentrale Symbol von Urbanität, das Haus, reizt ihn nicht, weil es zu realistisch ist. Ein Hausausschnitt hingegen, das Fenster, ein Mauerstück, das Fahrgestell einer Lokomotive ist, isoliert herausgehoben, bereits verfremdet und übernimmt den gewünschten symbolischen Charakter.
Der Künstler steht in der langen Tradition von Fensterbild–Malern. Sein Name fehlt natürlich nicht in der Ausstellung „ Einblicke – Ausblicke“ von 1976; er bekennt sich aber nicht zu seinen Ahnen der Romantik. Das Fenster ist bei seinen Bildern Rahmen, der Rahmen ist Begrenzung, er kann identisch sein mit dem Bildgeviert oder auch irritierend vom Bildrand überschnitten. Jeder Anschluss an Wand oder Innenraum fehlt. Wenn die Fensterscheiben nicht himmelblau zugestrichen sind, öffnet sich der Blick – immer von innen nach außen – auf eine Weite, leicht verschwommen gemalte Landschaft. Um diesen zentralen Gegensatz von Fenster und Landschaft, von tektonisch Begrenztem, Eingrenzendem und Unendlichem geht es ihm. Es herrscht eine Spannung zwischen Struktur und Amorphem, welche auch den künstlerisch notwendigen Gegensatz von Ratio und Imagination widerspiegelt. Diese inhaltschwere Spannung weist auf die Unmöglichkeit hin, unendlichen Raum auf einer zweidimensionalen Bildfläche darzustellen.

Bildnerisch trägt Zahn den Dualismus durch zwei divergierende Gestaltungsmittel aus, die harte, opake, glatte Vordergrundfläche steht neben einer leicht tachistischen, weichen Malweise des Tiefenraums. Ins Gleichgewicht bringt Zahn den Bildraum durch zwei Stilmittel: Farblich entnimmt er der nuancenreichen Landschaft einen Ton, stimmig für das Tektonische. Außerdem verfremdet ZahnVorder- und Hintergrund gleichermaßen, wenn auch mit entgegengesetztem Mittel: Die technischen Details durch präzise, mikroskopisch vergrößerte Schärfe ( Gnoli ), die Landschaft durch beabsichtigte Unschärfe, Verwischungen ( Gerhard Richter ). Beide Verfahren sind einem konstruierenden Kalkül unterworfen, eine Verschmelzung von Gedachtem und Gesehenem. Der Malvorgang beweist dieses: Sigi Zahn wählt aus einer Reihe kleiner tektonischer Bleistiftskizzen diejenige aus, von der er annimmt, dass sie einer Vergrößerung standhält. Über Bleistiftvorzeichnungen führt der Maler dann seine Bilder mit Pinsel und Spritzpistole aus. Vor Ort prüft er am Original technisch Details nach. Man sieht den Bildern den zeitraubenden, sorgfältigen Malvorgang an; sie sind perfekt und wirken zeitlos.

In den neuen Bildern fehlt die Landschaft. Spieglungen auf glänzenden Ölbehältern, Autokarosserien oder Gläsern übernehmen den verschwommenen Landschaftspart, wellenartig und unscharf werden Landschaft und Dinge reflektiert, so dass man Himmel, Wolken, Wasser assoziieren kann. Die Umrisse von Behältern und Gläsern übernehmen das Konstruktive, Begrenzende des Rahmens, des Urbanen. Die Gläser sind im Gegensatz zu anderen Bildgegenständen stark vergrößert, die Bilder sind farbintensiver als früher und gewinnen durch malerische Valeurs und Spritzungen Tiefenraum. Zahn hofft, durch Spiegelungen den Gegenständen ihre Profanität zu nehmen. Sicherlich dynamisieren, aktivieren die großen Pinselschwünge, welche Farbschlieren hinterlassen, die Bildfläche. Bei Zahn gab es keine Lichtquelle, also auch keine Schatten. Spiegelungen fordern von dem Maler, sich mit dem Problem des Lichtes auseinanderzusetzen.
Der Mensch fehlt auf seinen Bildern. Zahn ist der Überzeugung, selbst die Hand am Fensterkreuz oder am Lenkrad des Autos würde den Symbolgehalt der vorgeführten Dinge mindern. Es gibt auch keine Handlung im Bild. Ein kritischer Ansatz, der sich in dem Konflikt von Urbanität und Landschaft zeigt, ist nur versteckt erkennbar. Zahn hält nichts von Agitations – oder Politkunst, weil die Geschehnisse doch stets den Malern vorauseilen.

Aggressiver, zugleich akribischer offenbaren die Zeichnungen seine Kritik. Erzählend zeichnet Zahn technische Geräte, die sich verselbständigen und Lebewesen verletzen. Wenn er zeichnerisch ein Stückchen Landschaft in den Griff eines Revolvers einschließt, dann geht es Zahn um die gleiche Problematik wie in den Bildern, aber befreit von der zu füllenden Großfläche, kann er hier phantasiereicher geheime Aggressionen in Symbole fassen.

Ausstellungskatalog: Sigi Zahn – Urbane Symbole
Suermondt – Ludwig – Museum, Aachen

Zeichnungen